Die Dritte Kammer - bildhausworthain

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Abb. Bittermann & Duka, DIE DRITTE KAMMER - bildhausworthain-6, 2004, 70 x 180 cm, Öl auf Holz

DIE DRITTE KAMMER 1995 – 2004
Das Bild, das Haus, das Wort, der Hain: Re-Visionen von Kunst und Natur

von Doris Krystof

Bald ist die Welt unwirklich (ich spreche sie anders aus),
bald ist sie entwirklicht (ich spreche sie nur mit Mühe aus).
  Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, 1977

Wohin kein Auge reicht

Das Bild eines von einer Mauer eingefassten Bassins im Wald. Durch das seitlich einfallende Licht der tief stehenden Sonne wirkt die grün schimmernde, kaum bewegte Wasseroberfläche wie ein weiter Spiegel, der die umgebenden Bäume und Sträucher reflektiert. Darüber der blaue, von einigen Wolken bedeckte Himmel. An den Ecken des quadratischen Beckens erheben sich vier gedrungene Türme, die aus seltsam zeichenhaft gestanzten Steinquadern aufgebaut sind. Samtig weiches Moos überzieht in unregelmäßigen Flecken die grau-braunen Steine, deren Kanten Spuren von Abbruch und Verfall aufweisen. Ein verlassener Ort, magisch, still, wie eine archaische Ruinenanlage aus einer anderen Zeit. Seit der Entstehung des autonomen Landschaftsbildes im 16. Jahrhundert, lädt die Schilderung der äußeren Welt zum imaginären Gang durch die dargestellten Landschaftsräume ein. Die von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert kontinuierlich perfektionierten malerischen Errungenschaften Perspektive und illusionistische Raumdarstellung vermögen den Blick in die Tiefe des Bildes zu ziehen, und insofern steht das Landschaftsbild von Beginn an für Orte, die nicht unbedingt real, sondern vielmehr in der Imagination, mit Auge und Geist betreten werden.

Auch das von Caroline Bittermann und Peter Duka entworfene Bild des Wasserbassins mit den vier Türmen nimmt auf suggestive Weise den Blick gefangen. Landschaftstopoi wie bühnenbildartig gestaffelte Gründe, verwilderter Pflanzenwuchs, verhangener Himmel, schräg einfallendes Sonnenlicht, überwucherte Architekturrelikte und funkelndes Wasser verführen dazu, den dargestellten Raum ausgiebig mit den Augen zu erwandern und allmählich die spezifische Topografie des Geländes zu erfassen. Am unteren Bildrand sorgt ein bildparallel angebrachter Querschnitt durch das Wasserbecken allerdings für einen krassen Bruch mit der Darstellungskonvention des im Landschaftsbild üblichen räumlichen Kontinuums,- der Blick fällt hier buchstäblich in die Tiefe des Beckens bis auf dessen Grund. Wiederum in perfekt illusionistischer Wiedergabe ist in dem horizontalen Streifen eine reich gegliederte Unterwasserlandschaft dargestellt, die von den auf die Wasseroberfläche fallenden Sonnenstrahlen beleuchtet wird und in sanftem, hellgrünem Licht erstrahlt. Es sieht aus, als sei in das Bild dieser rätselhaften Landschaft eine gläserne vierte Wand integriert, die den Bildraum nach vorne abschliesst. Bei aller Faszination, die eine solche Ansicht bietet, unterminiert sie jeglichen identifikatorischen Betrachterstandpunkt, der sich in die Landschaft einfühlen, in ihr schwelgen möchte. Durch die Verschränkung von künstlichem Illusionsraum und diagrammatischem Darstellungsmodus, die Vorstellungen von der Guckkastenbühne über das Aquarium bis hin zu dem in der wissenschaftlichen Geografie gebräuchlichen Querschnitt hervor ruft, gibt sich das Landschaftsbild als künstliches Konstrukt zu erkennen, als ein System von visuellen Zeichen unterschiedlichster Ordnung. Enthalten ist zudem eine direkte Anspielung auf die Idee des apparativen Blicks, denn nur mit Hilfe einer Taucherbrille, einer Kamera oder anderem optischen Gerät lässt sich in Gegenden vordringen, ‚wohin kein Auge reicht‘. Je detaillierter, wirklichkeitsnäher die Schilderung solch ferner Bereiche aber ausfällt, desto deutlicher ist darin der Hinweis auf die trügerische – heute würde man eher sagen, manipulative – Kraft des Bildes enthalten, über die man in der Vormoderne im Zusammenhang mit der Landschaftsmalerei ausgiebig und durchaus kontrovers debattiert hat.

Die auf Platons Höhlengleichnis zurückgehenden Gedanken von der Trughaftigkeit der illusionistischen Bilder, die immer nur die Schatten der Dinge, nie aber die Dinge selbst darstellen würden, lebten in unterschiedlichen Varianten weiter, und auch das im Jahr 2004 entstandene Bild steht unverhohlen in dieser Tradition: Virtuos operiert es mit tiefenräumlichen Effekten wie Schatten, Transparenz, Lichtreflektionen – und stellt sich damit explizit gegen das Gebot der Flachheit der Malerei im 20. Jahrhundert. Die von Caroline Bittermann und Peter Duka mit speziellen Bildprogrammen am Rechner entwickelten und anschliessend ausgedruckten oder in Öl- bzw. Alkydfarbe gemalten topografischen Ansichten greifen vielfältig auf die Geschichte der illusionistischen Malerei zurück und testen deren Brauchbarkeit im Zusammenhang einer dezidiert zeitgenössischen Kunstpraxis.

Das seit 1995 in künstlerischer Produktionsgemeinschaft arbeitende Paar setzt damit an einem in der Malerei der Moderne kaum beachteten, ja sogar eher abfällig, weil in einem negativen Sinne romantisch, rückständig oder sogar reaktionär bewerteten Traditionsstrang an. In dem von Bittermann & Duka von 1995 bis 2004 entwickelten Projekt DIE DRITTE KAMMER wird diese Tradition indes unnostalgisch für die künstlerische Recherche nach anderen, möglichen (Außen-) Räumen in der Gegenwart erneut in Betracht gezogen. Die Frage nach der Repräsentation und Konstruktion von Natur in der zeitgenössischen bildenden Kunst, die Frage nach der Rolle von Natur in der westlichen, weitgehend urbanisierten und kapitalisierten Welt überhaupt leitet den künstlerischen Ansatz von Bittermann & Duka, der vor einem weit gespannten historischen Horizont entwickelt wird. „Den Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft zu richten und nicht mehr nur ‚zurück zu Natur‘ sondern auch auf ‚die Natur vor uns‘ zu schauen, deren Schwinden uns vor neue Aufgaben stellt, ist heute kategorisch gefordert“, erklärt ein Text das zentrale Anliegen der DRITTEN KAMMER.

Einen ergiebigen Fundus im Rahmen der historischen Recherche stellt die Übergangszeit vom Barock zur Romantik dar, als ein strikter Rationalismus von ganzheitlichen, Mensch und Natur als Einheit zusammen fassenden Vorstellungen abgelöst wurde. Insbesondere die Garten- und Landschaftskunst vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert bietet vielfältige Ansätze, die, ausgehend von einer (schon damals) nur domestiziert zu denkenden Natur und in enger Parallelführung zum gemalten Landschaftsbild, den Typus des naturhaften Imaginationsraumes ausprägen. In diesem Sinne haben Künstler von Claude Lorrain (1600-1682) über Hubert Robert (1733-1808) bis Caspar David Friedrich (1774-1840) Bilder von Natur, Landschaft und Gärten zur Artikulation von gesellschaftlicher Kritik beziehungsweise von Wünschen, Idealen und Zielvorgaben genutzt. In dieser Tradition hat das Landschaftsbild kaum einmal eine bloss beschreibende Wiedergabe von existierenden Gegenden verfolgt, und daran knüpfen auch die visuellen Konstruktionen von Natur und Landschaft an, die Bittermann & Duka produzieren: Ihre Bilder, die ebenfalls aus der Imagination und nicht aus der Deskription von Realität entstehen, beziehen allerdings insofern Realität stets mit ein, als die fantastischen Szenarien zumeist von konkreten landschaftlichen Situationen, von Problemstellen im urbanen Raum, etwa von brachliegenden Grundstücken, angeregt sind. In der künstlerischen Arbeit von Bittermann & Duka geht es insofern um einen beständigen Austausch zwischen der Konstruktion von Bildern und prozessualen künstlerischen Projekten mit realen Pflanzen, Gärten, Grundstücken und unterschiedlichen Kooperationspartnern, so dass der kontinuierliche Transfer zwischen virtuellem und realem Raum als der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der DRITTEN KAMMER angesehen werden kann.

Ausschnitt aus dem Buchtext zu dem Künstlerbuch Bittermann & Duka,”Die Dritte Kammer, 1995-2004″, Salon Verlag Köln, 2006