geheim – Die Dritte Kammer, 2013, Länge: ca. 5 Min.,
Musik: Catherine Lorent/Gran Horno, Berlin
“Etwas fehlt”, ist die wohl kürzeste Definition des so schwierig zu fassenden Wortes Utopie. Sie wurde von Bert Brecht gegeben, wie Theodor Adorno in einem Gespräch mit Ernst Bloch erläutert. Der Begriff Utopie stammt ursprünglich aus dem Griechischen und meint mit U-Topos den Nicht-Ort, das Nirgendwo. “Etwas fehlt” hingegen beschreibt ihren Motor, das was die Utopie zur Entstehung zwingt, die ewige Sehnsucht und Hoffnung des Menschen aus einem Zustand des Ungenügens in einen der Erfüllung zu gelangen. „Etwas fehlt“ ist aber natürlich auch ein Synonym für das antike „Et in Arcadia Ego“, die allgegenwärtige Anwesenheit des Todes, selbst in Arkadien, die im Grunde jede menschliche Bemühung um ein bessere Welt a priori zunichte macht. Die Utopie ist daher ein Trost, da sie zur Darstellung des Abwesenden mit künstlerischen Mitteln in der Lage ist.
Und genau dieses Bedürfnis nach einer Neu-Formulierung von utopischen Welt-Entwürfen war der Ausgangspunkt der Zusammenarbeit von Peter Duka und mir, als wir uns im Jahr 1990 trafen. In den Jahren danach verfolgten wir dieses Ziel zunächst in getrennten Werken, aber gemeinsamen Ausstellungen, ab 1995 dann in einem gemeinsamen Werkkomplex, in „Die Dritte Kammer“, die wir in Köln öffneten und in Berlin 2004 wieder schlossen.
Die folgenden beiden kurzen Texte verdeutlichen unsere damaligen künstlerischen Absichten:
Unkraut
„Dem Konjunktiv vergleichbar spricht »Die Dritte Kammer« von Übergang, von erwärmter Oberfläche, von der Möglichkeit zur Versöhnung. Sie versucht eine Antwort auf die Verdunkelung der Idee der Ganzheit. Sie kreist ein, umspielt eine Lücke und bildet so die Fuge von Architektur und Natur. »Die Dritte Kammer« eröffnet ein Terrain, das wir Garten nennen wollen. Dieser Garten entsteht aus der mikroskopischen Erweiterung des Zwischenraums, einer Spielfläche also, die aus der Naht einer Asphaltverschiebung gedeihen kann. Aus diesem Zwischenraum sprießt jenes Unkraut, das wir brauchen, um unsere mehrdimensionalen Bilder zu nähren.“
Handlanger des Möglichen
„Der »Handlanger des Möglichen«, wie wir die vier »Aechten Blumisten« in unseren Garten-Erfindungen nennen, erhält in vielfältiger Weise den Idealzustand des Gartens. Wirklichkeit und Fiktion treffen im Garten wie auf einem Tableau aufeinander. Der Garten ist der Ort des Offenen, das konsequent offen gehalten werden muss, um als Projektionsfläche für das Mögliche zu erscheinen. Das Offene zeigt sich nie, das Mögliche aber scheint aus ihm hervor. Das Offene wird also zur Bedingung des Möglichen, aber auch zum Vorhof der Handlung. Und der Gärtner, dessen Handeln im Garten das »Offenhalten« meint, wird zum »Handlanger des Möglichen«. Der Gärtner steht im Zentrum des Geschehens und doch relativiert sich seine Rolle, denn die Virtualität seiner Figur korrespondiert mit der Fiktivität der von ihm betreuten Projekte. Er ist der Botaniker rechnergenerierter Visionen, die wir in unseren Bildern wirksam werden lassen. Die Lupe des Botanikers ist die wieder gefundene Kindheit. Sie gibt ihm den vergrößerten Blick des Kindes zurück. Mit ihrer Hilfe kehrt er heim in den Garten. Der Garten gleicht einer Zyste im Fensterglas, durch die unser Blick auf die Welt so verändert fällt, dass nichts mehr so scheint, wie es vorher war. Wer aber den Gartenplan zu lesen weiß, hält einen Schlüssel in Händen.“
Nach Jahren der Entwicklung völlig unterschiedlicher, zumeist bildnerischer Projekte entstanden von Herbst 2001 bis Sommer 2004 die „geheimen gärten rolandswerth“ für das „Skulpturenufer Remagen“, zu deren Realisation uns das Arp Museum einlud. Sie stellten gleichzeitig den inhaltlichen Kulminationspunkt von „Die Dritte Kammer“ dar, in der es galt, auf exemplarische Weise das komplexe Verhältnis von Natur und Ästhetik, von Malerei und Garten aber auch von Utopie und Heterotopie zu untersuchen und zeitgenössische Formen für diese Auseinandersetzung zu finden. Das in den Park künstlerisch implantierte Novalis-Zitat: „Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück“ war und ist dabei sowohl site-specific-reflexiv gemeint, wie auch im Sinne der Frühromantik pamphlethhaft-provokativ. In seiner Gesamtheit fasst es den Inhalt der fast 10 jährigen Zusammenarbeit an einem Ort zusammen. Als „Nachbilder“ nach den „geheimen gärten rolandwerth“ entstand eine letzte Bilderserie, die das Verschließen von „Die Dritte Kammer“ begleitete.
Der folgende Text erhellt diesen Schritt:
bildhausworthain
„In der letzten Bilderserie von » Die Dritte Kammer« »bildhausworthain« greifen wir – ausgehend von einer digitalen Arbeit über den »Venustempel in Wörlitz« – die Funktionen der vier Blumisten erneut auf. Diese führen wir auf rein bildnerischer Ebene zurück in nun wieder ganz fiktive Gartenentwürfe, in denen diese Funktionen zu architektonisch-skulpturalen Gebilden werden und sie in programmatischen Kompositionen verdeutlicht werden. Nach neun Jahren konstantem Aufbau eines komplexen Referenzsystems haben wir entschieden, »Die Dritte Kammer« als virtuellen und realen Raum zu »schließen«. Unsere Intention war es, fiktive Gärten auf Bildern solange darzustellen, bis sich eines Tages ein Auftraggeber für den Bau eines realen Gartens einfinden würde. Jetzt, da die »geheimen gärten rolandswerth« fertig errichtet sind und die letzten Bilder »nach« diesem Garten entstanden sind, schließt sich der Kreis, um den es so wesentlich in »Die Dritte Kammer« gegangen war: vom Bild in den Garten und von dort zurück ins Bild zu finden.“
Caroline Bittermann/Bittermann & Duka
© 2024 Caroline Bittermann | Impressum/Imprint